Wohnzimmercharts statt Livekonzerte

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© Reinhard K. Saurer

Am Ende eines Jahres wieder einmal die musikalische Ernte. Tatsächlich ist es ein Spleen von mir zu Silvester immer meine persönlichen Jahrescharts vor Publikum, üblicherweise vor der eigenen Familie, abzuspielen. Da nehme ich mir dann nichts anderes vor, und zu süffigem Craftbeer bzw. erlesenen Weinen werden die persönlichen Topp-100 verteilt über den ganzen Tag zelebriert. Ob das die besten Songs des Jahres sind, sei dahingestellt, vor allem, da persönliche Eindrücke bei der Wertung entscheidend miteinfließen. Oft haben da Nummern, die ich bei Konzerten live miterlebt habe, einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Der emotionale Zugang zu Songs, Künstlerinnen und Künstlern ist maßgeblich, wobei das in den letzten beiden Jahren vermutlich ein wenig anders war. Zahlreiche Konzertkarten landeten im Archiv. Vertröstet, verschoben, verlegt, abegesagt, so lautete das Spielchen, das Covid mit uns trieb.

Wohnzimmerkonzerte waren dann nicht nur bei mir zu Silvester angesagt, sondern auch zahlreiche Musikerinnen und Musiker nutzten diese nicht immer geliebte, aber mangels an Live-Events notwendige Ersatzplattform. Die "Kleine Zeitung", FM4 und viele andere veranstalteten sogenannte "Online-Festivals". Einige Künstler wie Bosse gingen sogar einen Schritt weiter und schrieben Termine aus, an denen sie vom Wohnzimmer aus exklusiv zu buchen waren. Nur ein Klick war nötig und der Künstler spielte für einen halbwegs erschwinglichen Wert für dich/mich/sie/ihn allein. Max Prosa packte seine lyrische Ader aus und verkaufte erstmals Gedichtabos mit Links zu seinen aktuellen Liedern. Die Kreativität der Künstlerinnen und Künstler verlagerte sich auch darauf, die Kunst alternativ an ihr Publikum zu bringen, da es auf Bühnen eben nicht immer möglich war.

Planen wird auch im heurigen Jahr ein schwieriges Unterfangen. Wie wird es weitergehen? Welche Festivals können stattfinden? Welche Bands wagen eine Welttournee? Haben die großen Festivals ausgedient und sind nur noch die kleinen möglich? Welche Auflagen wird es geben? Was rentiert sich für die Veranstalter? Wer tut sich das noch an?

Genug der pessimistischen Fragen! Es muss wieder Livegigs geben! Für die Acts, für die Fans und für die bewundernswerten Veranstalter. Hoffnung bleibt, irgendwann wird sich alles wieder normalisieren, auch wenn es heuer noch einmal verdammt schwierig werden wird und Kreativität von allen Seiten gefragt sein wird. Wenn es sein muss, eben mit vaccine und FFP2. Apropos "The Vaccines": Die sind heuer nicht in den Jahrescharts vertreten, aber hier veröffentliche ich meine Topp 20, subjektiv und ohne Gewähr:

1 The Cure by Ja Panik (A), 2 I Was Once A Weak Man by Arab Strap (SCO), 3 Caterpillar by Hamish Hawk (SCO), 4 Die panamoralische Liebe by Fortuna Ehrenfeld (D), 5 I See Your Ghost by The Lathums (ENG), 6 Polaroids and Power Chords by Minor Majority (NOR), 7 Quiet Town by The Killers (USA), 8 No Hard Feelings by Wolf Alice (CAN), 9 I siech wos finstas by Ernst Molden & Der Nino aus Wien (A), 9 Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt by Danger Dan (D) 11 Artificial Screens by The Lathums (ENG), 12 The Bandit by The Kings of Leon (USA), 13 Kilometerweit Weizen by Kreisky (A), 14 Schdean by Moden/Resetarits/Soyka/Wirth (A), 15 Nebensaison by Bosse (D), 16 Die Badende by Buntspecht (A), 17 Apocalypse or Revolution by Ja Panik (A), 18 The Mauritian Badminton Doubles Champion, 1973 by Hamish Hawk (SCO), 19 The Sleeper by Arab Strap (SCO), 20 Tea Song by Raha Nahas (PAL)...

PS: Das Bild zeigt, was sich nicht nur bei mir in den Schubladen staut: Gigs, die bereits mehr als einmal verschoben worden sind...

Und am Ende noch die weiteren Österreicher, die in den Topp-100 zu finden sind, um wie bei den Schifahrern die mannschaftliche Geschlossenheit zu demonstrieren: Martin Klein, Mira Lu Kovacs, Anna Mabo, Anger (eigentlich aus Südtirol, geht eigentlich nicht, denn dann müssten wir auch den Dominik Paris als Österreicher führen), Son of the Velvet Rat, You and the Whose Armies, Grant, Die Strottern, Martin Spengler und die foischn Wiener, Downers & Milk, Sinuswelle, Die Buben im Pelz, Bernhard Eder und Cari Cari.

Fazit: Wir sind nicht nur Skination Nummer 1 (wenn da nicht schon wieder die Schweizer wären), sondern auch Musiknation Nummer 1! (Die Schweizer haben immerhin Faber, Sophie Hunger, Gina Ete und so aktuell wie Falco, Yello)

 

Veröffentlicht am 03.01.2022

Über die Autorin / den Autor

 

reini, Albersdorf/Austria, Ilztal, Graz, English, österreichische Literatur, music forever, viele Schienen, used to perform/theatre, nothing better than live, Studio Alben auch cool, nichts geht über einen Song auf der Terrasse, am besten einen eigenen, schreiben ja, aber nicht immer, „Der Holzmotorsägenbauer“, „Sie nannten es Goal“, Sturm Graz, Graz 99ers, Steiermark but Austrian music, the young and the old ones, mit Mario film, wie hieß der schnell, meeting at the clock, Weinberge and craft beer, say father, say husband, this is all true, mein wortschatz, basta.