„Was ist DIE Subkultur?“

Bühne
© Tom Mesic

Worüber wir sprechen, wenn wir „Subkultur“ sagen

Vom kulturellen Hoch- und Tiefbau

Damals, im vorhergehenden Jahrtausend, während der kurzen Phase jugendlicher Rebellion, machte es mir große Freude, meinen armen Eltern mit Nirvana, Rage Against the Machine und Cypress Hill tagtäglich zu beweisen, wie uralt und spießbürgerlich sie seien. Heute bekommen wir Angehörige der Generation X graue Schläfen, Angebote für Kepler Fonds und harmlose kleine Krisen, weil sich die Kids Ramones-T-Shirts beim H&M kaufen, ohne zu checken, dass das eine Band ist. In den 90ern konnte man die erziehungsberechtigten Babyboomer noch unglaublich leicht mit einem selbstgemachten, hässlichen Piercing im Dreieck springen lassen, während sich die zeitgenössischen Teenies schon das Gesicht mit „I love Cloudrap“ tätowieren lassen (oder in ein Schweigekloster eintreten) müssen, um zuhause noch jemanden zu provozieren. Das Wort „Subkultur“ hatte lange einen aufregenden, gefährlichen Klang, man fühlte sich dort heimelig mit all seiner diffusen, schwachen Wut gegen das System. Und auf die Gefahr hin, unzulässig nostalgisch zu werden: Welche Vielfalt an Genres sich in den mittleren 90er Jahren auftat, was plötzlich in all den „Szenen“ der westlichen Welt in Gang kam, das war schon sehr lässig. Gut, wir hätten es damals schon ahnen können, dass sich da was mit dem radikalen Alternativsein nicht ausgehen kann, wir waren zwar alle Individuen (um den Heiligen Brian zu zitieren), sahen einander aber mit unseren fahlblau gefärbten Haarnestern, Holzfällerhemden und Doc Martens recht ähnlich.

30 Jahre und viele Soziologieseminare später ist die Romantik der Subkultur einer informierten Zuneigung gewichen, fast wie in einer über die Langstrecke gelingenden Ehe (davon habe ich als bekennende und glückliche Polygamistin nun wirklich eine Ahnung). Die ProtagonistInnen der Freien Szene sind immer noch trinkfest, aber dazu kulturpolitisch gebildet, diskurssicher und debattenstark. Hier fühle ich mich mit meiner konkreten, schwachen Wut gegen das System heimelig. Außerdem ist die Dringlichkeit, der Gesellschaft Alternativen vorzuleben, eher noch gestiegen. Darum sollen die Kids unsere Punk-T-Shirts anziehen, wenn sie nur weiter fürs Klima auf die Straße gehen.

Was in Sachen Kunst und Kultur zu sagen ist: Die eine Subkultur im Singular hat es nie gegeben. Und soll es auch nie. Die strikte Trennung zwischen E- und U-Musik holt keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Der Minderwertigkeitskomplex der „Subkultur“ gegenüber der „Hochkultur“ ist Schnee von Vorgestern, und noch viel gestriger jener zwischen Deutschland und Österreich. Grenzen sind hauptsächlich dazu da, um sagen zu können, dass man sie überschritten hat. Lasst offene Dialektik walten! Machtunverständliche Konzeptkunst und dumme Witze! Gründet eine, zwei, viele Postpunk-Noise-Shoegaze-Indie-Girlbands! Oder macht Volksmusik, wir sind ja das Volk (und nicht die Rechtsextremen und selbsternannten Einheimischen). Spottet über Slim-Fitness! Denkt euch neue Labels für eure Sachen aus, und ignoriert sie wieder! Verbrennt die große Kommode voller Schubladen! Lasst euch nicht mehr in Landmäuse und Stadtmäuseunterteilen! Wir, die von ihrer Arbeit in Hoch- und Subkultur leben können, müssen noch sehr viel mehr werden, und wir sollten nicht nur weiße Ärztekinder sein. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass genau jetzt ein massives Kunstkonjunkturpaket her muss.

 

Veröffentlicht am 09.10.2023

Über die Autorin / den Autor

Dominika Meindl
© (Foto: Zoe Goldstein)

Dominika Meindl, *1978;  lebt und arbeitet in Linz, Wilhering und Wels als Schriftstellerin, Moderatorin, Journalistin und Literaturveranstalterin. Leitet die 2009 von ihr gegründete Lesebühne Original Linzer Worte (mit Klaus Buttinger und René Bauer). Schreibt Rezensionen für den Falter. Selbsternannte Bundespräsidentin der Republik Österreich. Kuratiert gemeinsam mit Sebastian Fasthuber die Reihe experiment literatur in Wels. Ab 1.1.2019 Regionalsprecherin der GAV OÖ (gemeinsam mit Judith-Gruber-Rizy und Rudi Habringer).

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„Eine Frau mit recht wenigen Eigenschaften“:
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