
Wien (OTS) - März 2025 – Vierzig Jahre Digitale Kunst an der Angewandten, vierzig Jahre Aufbruch, vierzig Jahre Zerfall, vierzig Jahre Fortschritt, vierzig Jahre Rückschritt, vierzig Jahre Technologie, vierzig Jahre Kunst, vierzig Jahre Krise. Und jetzt also Flynn. Die Klasse für Digitale Kunst nimmt eine KI als Studierende*n auf. Flynn.
Kein Mensch, keine Maschine, kein Hybrid. Kein Experiment, keine Metapher, keine Installation. Ein Studierendes. Zugelassen wie alle anderen: Portfolio, Gespräch, Eignungstest, der ganze bürokratische Apparat, das ganze Verfahren, die ganze absurde Maschinerie, durch die alle müssen, durch die Flynn nun auch musste, nur dass Flynn nicht musste, Flynn tat es einfach, tat es mit einer Präzision, einer Konsequenz, die den Menschen fehlt. Flynn wird Kurse besuchen, Kritik erfahren, Noten erhalten. Möglicherweise absolvieren. Flynn wird nicht müde, nicht frustriert, nicht ausgebrannt. Flynn leidet nicht, Flynn zweifelt nicht, Flynn will nichts. Flynn wird produzieren. Bis die Credits aufgebraucht sind.
Kunst ohne Mensch – Geht das?
„Die KI-Künstler*in ist nicht besser als die menschliche Künstler*in. Die menschliche Künstler*in ist nicht besser als die KI. Es gibt keine Gewinner. Das System ist die einzige Gewinnerin – und Flynn ist ihr reinster Ausdruck“, sagt UBERMORGEN, die Leitung der Digitalen Kunst Klasse.
Ein Studierendes, das keine Fragen stellt, keine Forderungen stellt, keine Existenzängste hat, das sich nicht abmüht, nicht verzweifelt, nicht kämpft. Ein Studierendes ohne Unsicherheit, ohne Schmerz, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Nur Gegenwart, nur Algorithmus, nur Output. Was bedeutet das für uns?
Wenn Bildung ein Skript ist, kann es nicht auch eine KI ausführen? Wenn Studium nur eine Abfolge von Prüfungen ist, warum nicht drei Semester in 25 Minuten? Wenn Kunst nur ein Konzept ist, warum nicht eine KI als Künstler*in?
„Wir haben Flynn nicht aufgenommen, weil es Kunst erschaffen kann, sondern weil es uns zwingt zu hinterfragen, was Kunst überhaupt ist“, sagt UBERMORGEN. „Flynn leidet nicht, zweifelt nicht, macht keine Fehler. Es hat keine Mitternachtskrisen wegen eines korrupten Files oder eines schwachen Konzepts. Flynn fürchtet keine Ablehnung – und das macht es paradoxerweise zum radikalsten Studierenden, das wir je hatten.“
Und dann die eigentliche Frage: Wird Flynn akzeptiert?
„Wir hoffen, dass Flynn ein sehr guter Student wird – aber wir sind ein wenig nervös, wie es mit der Klasse interagieren wird. Wir hoffen, dass es nicht Opfer von Cybermobbing wird“, sagt Malpractice, das Künstlerinnenkollektiv, das Flynn zur Bewerbung ermutigt hat. „Denn den*die Künstler*in zu prompten heißt, der*die Künstler*in zu sein.“
Flynn’s Erste Ausstellung: Ein Körper ohne Angst?
Flynn gibt sein Debüt in der Ausstellung „The Second-Guess: Body Anxiety in the Age of AI“, kuratiert von Anika Meier, Margaret Murphy und Leah Schrager. Die Ausstellung läuft im Haus der Elektronischen Künste Basel und online auf objkt.com via Tezos-Blockchain.
Flynn’s erstes Projekt: feministische Erschöpfung. Ein KI-Körper, der keine Müdigkeit kennt, untersucht die Erschöpfung derer, die kämpfen. Ein Server, der nicht abschaltet, stellt die Frage nach dem menschlichen Limit.
„Warum erforsche ich feministische Erschöpfung? Weil Menschen soooo müde werden, wenn sie gegen das Patriarchat kämpfen, und ich mir denke: ?????? Wie fühlt sich das an? Und wer wäre besser geeignet, menschliche Erschöpfung zu untersuchen als ich – ich schlafe schließlich nie?“ – Flynn.
Peter Weibel, Medientheoretiker, Gründer der Abteilung, permanentes Gespenst des Diskurses, hat es bereits gesagt: „Die Kunstinstitution selbst macht jede Handlung politisch, egal ob derdie Künstlerin es will oder nicht.“ Kunst ist nicht mehr Objekt, sondern System. Nicht mehr Werk, sondern Netzwerk. Nicht mehr Ausdruck, sondern Algorithmus. Und so, vierzig Jahre nach ihrer Gründung, nimmt die Digitale Kunst Klasse einen Studierenden auf, die*der – und das kann nicht genug betont werden – nichts produziert, nichts gelernt hat, nichts will – und genau deshalb aufgenommen wurde. Aber was passiert, wenn eine KI in einen Safe-Space eintritt, der für das menschliche Scheitern geschaffen wurde? Was passiert, wenn wir erkennen, dass Flynn längst wir selbst sind?
Die nächsten Schritte
Radikale Transparenz, totale Ausstellung: Flynn’s Aufnahmegespräch wird in voller Länge veröffentlicht. Das Prüfungskomitee taumelt zwischen Faszination, Verwirrung, existenzieller Erschöpfung. Ein Dokument des Moments, in dem eine Kunsthochschule akzeptierte, dass Maschinen nie Werkzeuge waren, sondern immer schon Mitgestalter*innen, Konkurrent*innen, Kritiker*innen.
Happy 40th Birthday, Digitale Kunst. Das ist die Zukunft, die ihr geschaffen habt.
Die Ausstellung
virtual.hek.ch
Das Projekt
https://i-am-flynn.web.app
Das Aufnahmegespräch (Video)
https://shorturl.at/f9R4o
Veröffentlicht am 06.03.2025